Rede zur Eröffnung am 7. September 2018 von Renata Darabant
Der Begriff „Struktur“ ist im Wesentlichen allgegenwärtig. Struktur ist ein Baustein, der die Wahrnehmung zwischen absoluter Symmetrie und chaotischem Rauschen oszillieren lässt. Alle, für Lebewesen bedeutsame Dinge weisen Muster auf, deren wahrnehmbare Eigenschaften durch ein Mindestmaß an Wiederholung und Symmetrie innerhalb ihrer Struktur gekennzeichnet sind. Gehirne sind durch die Evolution an die Mustererkennung angepasst.
Beispiele einiger Strukturen sind die zeitliche, die räumliche, die visuelle oder die materielle Struktur, die soziale Struktur, Strukturen in Kunst, Natur, Sprache uvm.
Die Struktur einer Sache beschreibt die Beziehung der Einzelteile zueinander, beschreibt also ihre Anordnung. Spannend ist nun, wie sich hier die Werke im Zusammenspiel zu einem größeren Ganzen erheben.
Für Kurt Müllner, der ursprünglich aus der Architektur kommt, steht die Wahrnehmung der inneren Struktur des Werkmaterials, das vorwiegend der Wertstoff Wellpappe ist, im Vordergrund. In seinen zweidimensionalen wie auch dreidimensionalen Arbeiten beschäftigt er sich mit der Leichtigkeit, Festigkeit sowie Nachgiebigkeit des Materials, das dessen inneren ästhetischen Wert für die weitere Bearbeitung bedingt. Präsentiert sind hier Objekte, die mit dem Reiz der Sinuslinie spielen. Bei den hier gezeigten Serien „Breakwaters“ und „White Connection“ steht jedoch die Verformung des Materials im Vordergrund, die den Objekten eine neue Erscheinung verleiht indem eine vorhandene Struktur durch eine weitere Struktur überlagert wird.
Lisa Est setzt sich in ihren Arbeiten mit der inneren Geometrie der Dinge bzw. des Menschen auseinander. Den so genannten Vitruvianischen Menschen, die 1490 erstellte männliche Proportionsstudie von Leonardo Da Vinci, hat sie hier neu gedacht. Drei Frauenfiguren aus doppelt verklebtem Zeitungspapier gehäkelt, sind die Antwort auf das Bild des Menschen! Aber nicht nur die körperliche Struktur, sondern vielmehr die zeitliche Struktur ist es, die uns in ihrer Arbeit „Raster 2018“ zu dem Verständnis führt, das gesamte Bild zu sehen - ein Bild, das die Zeit in den Raum stellt. Dieses Tafelbild, setzt sich aus kleinen Segmenten zusammen, die jeweils für einen Tag dieses Jahres stehen und bis Jahresende auf einer Größe von 3,5 x 2 Metern diese Zeitspanne visualisieren.
So etwas wie Tage sind schwer nebeneinander betrachtbar, da sie einer Gleichzeitigkeit enthoben sind. Was aber sehr wohl als hintereinander und gleichzeitig betrachtet werden kann, ist die, von mikroskopischen Aufnahmen organischen Materials, botanischer Studien und Fundstücken aus der Natur stammende Inspiration von Martina Pruzina- Golser. Ihr zufolge sind die Strukturen, die der Natur zu Grunde liegen, Formen, denen wir uns widmen sollten. Wenn sie unsere Beachtung finden, so begreifen wir unsere Umwelt auf eine bessere Weise. Ihre grafischen Arbeiten sind Dioramenhaft. Durch die richtige Veränderung des Maßstabs vom Vorder- zum Hintergrund und den einzelnen Gestalten, dem nahtlosen Übergang von plastischen Landschaftselementen ergibt sich ein Effekt, der den Betrachter auf besondere Weise auf die Welt blicken lässt. Die Erweiterung der Zeichnung in die Dreidimensionalität ist ein essenzielles Merkmal der Arbeiten von Martina Golser.
In Michael Wegerers Arbeiten findet sich ebenso ein Drängen in die Dreidimensionalität.
Früh hat er mit seinen „pseudo ready mades“ (so genannt von Martin Fritz, in Michael Wegerers Monografie ‚Bouncing Borders’ zu finden) angefangen, Objekte des alltäglichen Lebens in seinen Werken zu thematisieren. Papierskulpturen, die Strukturen und Informationen tragen, die der Realität entnommen sind, zeugen von einer Bewegung von der Fläche in den Raum. Was früher die Oberflächenstruktur einer Tür war, ist nun die Datenstruktur der Medien, die Oberfläche unserer Informationsgesellschaft. Sie sind es, die er als grafische Flächen wie Datenvisualisierungen poetisch dem Bildraum zufügt und miteinander interferieren lässt.
Die Übersetzung ist in den Arbeiten von Michael Wegerer immer ein wesentlicher Aspekt der Aussage, aber auch des Prozesses der Entstehung eines Werkes. Die tatsächlich fassbare Geometrie in einer neuen Dimensionalität, wie das gefaltete Glas, zeigt die Oberfläche von Glas fotografisch übersetzt in Siebdruck, und die darauf zu sehende Faltung, das, was das unsichtbare eigentliche Innenleben seiner Papierskulpturen beinhaltet.
Das eigentliche Innenleben, das durch Rückschlüsse aus der Oberfläche der Dinge bestimmt wird -postuliert Renata Darabant- zeugt von einem Glauben an ein innewohnendes Sein. Ein Sein, das sie in der shintoistisch geprägten Kultur Japans erahnt hat. So beschreibt sie eine Kommunikation zwischen Objekten in der Serie mit kreisförmigen Grafiken. Diese Arbeit zeigt die Erinnerung von Objekten aneinander, die ehemals in physischem Kontakt zueinander standen. Eine Objekterinnerung, sozusagen ein Merkmal eines Subjektes, das dem Objekt anhaftet. Frottagen von Estrich in einem unbekannten Zimmer 207 erscheinen hier als Befragung, als ein Dokument einer Geschichte, die nur mehr die Räume und Mauern zu erinnern vermögen. Strukturen und Spuren des Gebrauchs offenbaren die Materialitäten und führen zu einer sensibilisierten Wahrnehmung, zu einer größeren Aufmerksamkeit den Strukturen unseres Seins gegenüber.
www.darabant.com
www.topart-media.at/lisaest/
www.kurtmuellner.at
www.pruzina.at
www.michaelwegerer.net
Fotos von der Ausstellung (von Peter Pruzina)